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ADHS bei Frauen 

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Bei Frauen ist der unaufmerksame Typ der ADHS häufiger, insbesondere in der Kindheit. Der unaufmerksame Typ ist weniger auffällig, vermutlich deshalb wird er häufiger nicht erkannt als der hyperaktive Typ. Dass im Kindesalter ADHS bei Jungen deutlich häufiger diagnostiziert wird als bei Mädchen, ist möglicherweise der Tatsache geschuldet, dass der hyperaktive Typ mehr auffällige Probleme verursacht. Hyperaktive ADHS-Betroffene stören einfach viel mehr, weil sie laut und ungestüm sind und die Welt wissen lassen, was sie fühlen. Da Frauen in der Kindheit mehr den unaufmerksamen Typ haben, sind diese eher schüchtern, verträumt, zurückhaltend und so manche Lehrerin fragt sich, ob das ADHS-Mädchen heute anwesend war, weil sie einfach nicht aufgefallen ist. ADHS bei Frauen kann auffällig unauffällig sein. Niemand merkt dann das Leiden der unaufmerksamen Mädchen, weil sie ihre Gefühle von Angst, Unsicherheit, Ohnmacht und Überfordertsein in sich hinein fressen und sie sich eher zurückziehen. Ihre Probleme sind dann für ihre Mitmenschen unsichtbar.  Das ganze Drama der ADHS-Symptome zeigt sich auch oft erst im Erwachsenenalter. Die ADHS-Frau hat dann Probleme im Berufs- und Arbeitsleben. Auch kann sie Probleme mit ihre Mutterrolle entwickeln, wenn sie ihre Gefühle nicht in den Griff bekommt und sie sich nicht organisieren kann. in der Rolle als Mutter erhalten wird eher als problematisch wahrgenommen.

Im Erwachsenenalter zeigt sich eine gleiche Häufigkeit der ADHS bei Männern und Frauen. Der Mischtyp ist im Erwachsenenalter der häufigste. Das heißt, dass im Erwachsenenalter am häufigsten eine Kombination vom unaufmerksamen und vom hyperaktiven Typ zu finden ist.

Die Haupt-Symptome der ADS, also des unaufmerksamen Typs sind mangelnde Aufmerksamkeit, Reizoffenheit und erhöhte Ablenkbarkeit.

Betroffene sind oft sehr langsam und umständlich. Es fällt ihnen schwer, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden. Man nennt das Priorisierungsschwäche. Zudem gelingt es Betroffenen oft nur schwer Aufgaben rechtzeitig anzufangen und sie zu Ende zu bringen. Das nennt man Prokrastination. Das sind Symptome, die auch bei auch hyperaktivem ADHS auftreten können. Dann ist die Symptomatik jedoch gepaart mit Impulsivität, Gereiztheit und motorischen Unruhe. Bei ADS herrscht eher Hypoaktivität statt Hyperaktivität vor.  ADS-Betroffene haben nicht zu viel, sondern zu wenig Aktivität, Elan und Engagement.

Man könnte vielleicht sehr schematisch und vereinfachend sagen, dass der hyperaktive ADHS-Betroffene seine Gefühle in die Welt schleudert, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen. Der hyperaktive ADHS-ler explodiert geradezu mit seinen Emotionen. Im Gegensatz dazu implodiert die hypoaktive ADS-lerin, weil sie ihre Gefühle „in sich hineinfrisst“. Während das hyperaktive ADHS zu heftig und zu laut ist, schnell und ungsteuert, ist die hypoaktive ( unaufmerksame)  ADS-lerin genau das Gegenteil: Zu leise, zu langsam, abwesend, verdrängend. Der Hyperaktive bebt vor Wut, die Hypoaktive steht unter Tränen.

Im Kindesalter stehen bei ADS  Konzentrationsstörung und Probleme mit der Motivation im Vordergrund. Diese Mädchen machen schon in  der Schule die Erfahrung, dass sie sich den Schulstoff nicht so recht merken können und sie trotz intensiven Lernens schlechte Noten schreiben. Sie sind da und doch nicht da, irgendwie abwesend, verloren in ihren tausend Gedanken, die hin- und herspringen und über die sie keine Kontrolle haben. Statt sich aktiv am Unterricht zu beteiligen, haben diese Mädchen vielleicht einem Vogel hinterhergeschaut  und sich gefragt, wo dieser Vogel hinfliegt, wie viel Münder er im Nest mit seinen herbei geschafften Nahrungsangebot stopfen muss und wie das Nest mit den jungen Vögeln aussieht, die mit aufgerissenem Schnäbeln erwartungsvoll auf die Ankunft der Eltern warten. Der Matheunterricht indes ist spurlos an ihnen vorübergegangen. Vielleicht hat auch eine Lehrerin durch eine plötzliche Frage sie jäh aus ihrer verträumten Welt gerissen und sie haben diese Fragen wieder nicht beantworten können, weil sie ja ganz woanders gewesen sind. Die Lehrerin wird bestätigt in der Annahme, dass diese Schülerin kein Interesse an der Schule hat und einfach lieber aus dem Fenster schaut. Das ADS-Mädchen hat wieder einen Misserfolg erlebt, der sie an sich zweifeln lässt.

Die hypoaktiven ADS – Mädchen sind schon als Kind reizoffen, reizüberflutet und ängstlich. Sie reagieren auf Veränderungen mit Angst und Anklammerung. Sie neigen zu Rückzug und Selbstzweifel. Sie sind hypersensibel, verletzlich, leicht zu verunsichern. Sie sind dünnhäutig. Alles geht ihnen „unter die Haut“  Sie sind  schnell gekränkt und fühlen sich  schnell angegriffen und sie haben eine scharf gestellte Alarmanlage für Ablehnung, Zurückweisung und vermeintliche Angriffe. In ihrer Hypersensitivität passiert ihnen häufiger: “ ich höre was, was du nicht sagst“. Damit ist gemeint, dass sie harmlose und unverfängliche Botschaften und Sätze ihrer Mitmenschen interpretieren, dass sie Kritik, Ablehnung oder Angriff erleben. Sie antizipieren oft grundlos Angriff oder Ablehnung und sie ziehen sich dann schnell zurück. Häufig entwickeln  sie eine negative Erwartungshaltung: Sie nehmen  das Verhalten der Mitmenschen viel negativer wahr und speichern diese negativen Empfindungen dann auch in ihrem Gedächtnis ab. Ihr Gefühl von Unzulänglichkeit wird dadurch immer stärker.

Es fällt ihnen sehr schwer, sich gegenüber ihren Mitschülern zu behaupten. Sie sind nur wenig belastbar, brechen schnell in Tränen aus und treten schnell den Rückzug an, statt an Auseinandersetzungen zu wachsen und Selbstbehauptung zu trainieren. Mädchen mit dem unaufmerksamen ADS stellen sich eher selbst in Frage und sind voller Selbstzweifel, als Widerstand zu leisten oder für ihre Meinung zu kämpfen. Sehr früh entwickeln sie somit ein Gefühl von Schwäche und. Sie machen immer wieder die Erfahrung, dass sie sich nicht durchsetzen können. Diese Erfahrung brennt sich in ihrem Erfahrungsschatz ein und zementiert eine negative Lebenserfahrung. Es wächst in ihnen die Überzeugung, dass sie klein und schwach sind. Das Gefühl minderwertig zu sein, kann sie ihr ganzes Leben begleiten.

ADS-Mädchen und -Frauen sind oft verträumt und irgendwie abwesend. Es ist, als liefe das Leben ohne sie neben ihnen her. Auch die noch so kleine Ablenkung kann sie in einen verträumten und abwesenden Zustand versetzen. Viele Frauen beschreiben das so, als würden sie permanent in einem grauen Nebel stehen, in dem sie keine Orientierung und keinen Durchblick haben. Sie reagieren oft zu langsam. Ihr Gefühl des Dauernebels mit nur geringer Sichtweite lässt sie ständig an sich selbst zweifeln. Es fehlt ihnen der klare Blick, die Präsenz im aktuellen Augenblick, um handlungsfähig zu sein und angemessen reagieren zu können.

Ihre schlechte Priorisierung macht sie unsicher.  Es fällt ihnen schwer, Entscheidungen zu treffen. Diese Unsicherheit und Entschlusslosigkeit macht sie umständlich und zögerlich.  Die Erfahrung, wieder zu spät gewesen zu sein, um einen angemessenen Beitrag in einem Gespräch beizutragen, nimmt ihnen oft den Mut, sich in das Leben der anderen mit ihrer Meinung einzumischen. Sie machen so oft die Erfahrung, dass sie zu viel Zeit gebraucht haben, um sich zu äußern und schon ist die Gelegenheit verpasst, etwas dazu zu sagen. Sie sind frustriert, dass ihre Unentschlossenheit und ihre Selbstzweifel dazu führen, dass sie wenig Beachtung bei ihren Mitmenschen bekommen und dass ihnen oft viel zu spät einfällt, was sie in der Situation hätten sagen können oder wo sie sich hätten zur Wehr setzen müssen. Oft fällt es ihnen überhaupt schwer, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen. Sie erleben, dass andere ihre Meinungen und Bedürfnisse mitteilen können, dass es anderen gelingt, ihre Wünsche und Pläne umzusetzen. Selbst machen sie immer wieder die Erfahrung, in Gesprächen „einfach unter zu gehen“.  Es ist die permanente Erfahrung der verpassten Möglichkeiten: „Ich hätte sagen können“ oder „ich hätte das in dieser Situation gebraucht“, aber niemand hat es bemerkt. Die anderen Menschen gehen davon aus, dass jemand schon sagen wird, wenn er etwas braucht. Diese Erfahrung des  „Nicht-gesehen-werdens“, führt dazu, dass Betroffene sich selbst nicht wichtig fühlen. Ohnmacht und Schwäche sind ein Grundgefühl im Leben der unaufmerksamen ADS-Frauen. Es ist die Erfahrung, dass sie sich nicht bemerkbar machen können und in anderen damit auch keine Spuren hinterlassen.  Dies führt zu tiefen Selbstzweifeln und zu der Erfahrung, überflüssig zu sein, für andere keine Bedeutung zu haben.

ADS-Betroffene wissen oft nicht genau, was sie wollen. Damit sind sie immer den Menschen unterlegen, die klare Ziele und Vorstellungen haben.

Leider werden unaufmerksame ADS-Mädchen häufiger Opfer von Mobbing. Mit ihrer Passivität laden sie andere zu diesem Verhalten geradezu ein, weil sie sich nicht zur Wehr setzen und sich auch nicht ausreichend abgrenzen können. Sie können weder Kampf noch Beharrlichkeit.  Eher überlassen sie das Feld kampflos den anderen, nicht jedoch ohne diesen Misserfolg zu fühlen und zu verbuchen. Sie haben ein sehr gutes Gedächtnis für Kränkungen und Negativerfahrungen, während sie ihre eigenen Erfolge nur wenig wertschätzen können. Diese vielen Erfahrungen von Misserfolgen, Kritik und Niederlagen graben sich in ihren Erfahrungsschatz ein und sind dann immer präsent. Oft entwickelt sich daraus eine depressive Symptomatik mit tiefen Selbstzweifeln bis hin zu Selbsthass. Sie neigen dann dazu, alle negativen Erfahrungen als ihr eigenes Versagen zu sehen.

Da sie nicht an sich glauben und sich keinen Selbstwert geben können, sind sie auf die Bestätigung anderer angewiesen. Das macht sie sehr abhängig von „ den anderen“. Sie versuchen verzweifelt durch Anpassung Bestätigung und Akzeptanz von anderen zu bekommen.  Sie haben dauernd das Gefühl, um Anerkennung und Bestätigung buhlen zu müssen und befürchten das Schlimmste, wenn die Bestätigung von anderen ausbleibt. Damit fühlen sie sich so oft fremdbestimmt, was ihre Selbstzweifel nur noch weiter nährt. All das geht zu Lasten ihrer eigenen Entwicklung von Authentizität, Individualität und Reife.

Der Selbstwert wird oft an Äußerlichkeiten gekettet. Ein Pickel, den die ADS-lerin dann 100-fach vergrößert im Spiegel wahrnimmt, fühlt sich an wie ein Weltuntergang, ebenso die vermeintliche Gewichtszunahme.

Hier wird deutlich, warum Essstörungen so häufig mit ADS vergesellschaftet sind. Die Suche nach dem perfekten Körper, dem perfekten Aussehen soll die empfundene Unfähigkeit und die Selbstzweifel kompensieren. Bei der Esssüchtigen ist das rauschhafte Essen die Ersatzbefriedigung, die hinweg trösten soll über all die schlechten Erfahrungen  und Misserfolge. Bei der Bulimie ist es das Streben nach dem makellosen, begehrenswerten Köper und gleichzeitig die maßlose Gier alles in sich hineinzuschlingen, weil man sich sonst so leer und ausgebrannt fühlt. Bei der Magersüchtigen ist es der Wunsch nach totaler Kontrolle, die Illusion, nichts mehr zu brauchen, unabhängig zu sein.

Das sich-Ketten an Äusserlichkeiten verstärkt aber nur die Verletzbarkeit und Selbstzweifel und führt immer tiefer in den Abgrund von Selbstentwertung und Selbstverachtung. Es ist das falsche Selbst, das hier genährt wird. Neben den Essstörungen sind auch andere Suchtformen bei ADHS/ADS häufiger, etwa Nikotin- oder Drogenabhängigkeit, Kaufsucht, Fernsehsucht etc.

Was wir alle brauchen- ganz besonders junge Menschen in ihrer Entwicklung – ist die Erfahrung, erfolgreich zu sein und Schwierigkeiten zu bewältigen. Es reicht leider nicht aus, dass Eltern ihren Kindern ihre Liebe zeigen und sie darin bestätigen, erfolgreiche und wichtige Menschen zu sein. Für die Entwicklung des eigenen gesunden Selbstwertgefühls braucht der Mensch selbst erarbeite Erfolge. Diese machen glücklich. Erfolge zementieren mit der Zeit ein gutes Selbstwertgefühl. „Ich kann mich auf mich verlassen“, „ich bin in der Lage Schwierigkeiten zu bewältigen“, „ich kann etwas leisten“, das sind wichtige Erfahrungen, die jeder Mensch braucht, um sich selbst annehmen und wertschätzen zu können.  Wenn ich mir etwas vornehme und es mir gelingt mein Ziel auch erfolgreich umzusetzen, dann schaffe ich mir damit ein Punkt auf meinem Erfolgskonto. Wenn ich viele Erfolgspunkte habe, dann kann ich stolz auf mich sein und das macht mich glücklich und widerstandsfähig gegen Kritik und die unausweichlichen kleinen Misserfolge des Lebens.  Ich schaffe mir damit aber auch Punkte auf meinem Selbstwertkonto und je mehr Punkte ich mir mit der erfolgreichen Bewältigung von Aufgaben erarbeitet habe, desto stabiler und besser ist mein Selbstwertgefühl.

Gerade unaufmerksame ADS-Frauen haben viel zu wenig Erfolgserlebnisse, weil sie sich nicht durchkämpfen und durchsetzen können. Es fällt ihnen so schwer, den Biss, die Disziplin und die Beharrlichkeit zu entwickeln die sie bräuchten, um ihre Ziele zu erreichen. Sie geben zu schnell auf oder erreichen mit ihrer Langsamkeit nicht ihr Ziel in der vorgegebenen Zeit. Es fehlt ihnen die Energie, zu kämpfen und sich durch Schwierigkeiten hindurch zu quälen. Sie nehmen sich etwas vor und schaffen es nicht. Diese Erfahrungen schaffen Negativ-Punkte auf dem Erfolgskonto und diese Misserfolge machen unglücklich. Die negativen Punkte auf dem Selbstwertkonto schaffen Selbstzweifel bis hin zu Selbsthass.  Die Folge sind Resignation, Frustration und Mutlosigkeit.

Oft wird auch von Therapeuten nicht gesehen, dass die so sehr an sich selbst zweifelnden unaufmerksamen ADS-Betroffenen sich ihre Unfähigkeit und ihr Scheitern nicht einbilden, sondern dass diese Misserfolge Realerfahrungen im Leben sind. Es ist dann nicht zielführend, in der Therapie diese Misserfolge umdeuten als zu ehrgeiziges Ziel oder aber das Scheitern kleinzureden. Wirkliche Hilfe für ADS-lerinnen ist es, sie zum Erfolg zu befähigen. Sie brauchen die Erfahrung von Selbstwirksamkeit im Sinne von: „ich schaffe das“ und „ich stelle mich den Herausforderungen und bewältige meine Schwierigkeiten“.

Diese Erfahrung können sie sich oft nur verschaffen, wenn die Diagnose ADS gestellt wird und sie verstehen, dass sie nicht unfähig und dumm sind, sondern eine genetische neurobiologische Besonderheit haben, die man behandeln kann. Es ist oft so eindrucksvoll wie beglückend es für ADS-lerinnen ist, wenn sie endlich die Erfahrung machen können, dass sich der Nebel um sie herum auflöst und sie handlungsfähig und erfolgreich sein können. Sie erleben das oft wie ein Wunder, an das sie gar nicht mehr geglaubt haben.

Das ganze Drama der ADS-Symptome zeigt sich aber oft erst im Erwachsenenalter, sowohl im Berufs- und Arbeitsleben, als auch in der Rolle als Mutter.

 

ADS und Arbeitsleben:

Im Arbeitsleben wird von ADS-betroffenen Frauen Leistung in angemessener Zeit verlangt. Viele ADS-Frauen können gestellte Aufgaben nicht in der vorgegebenen Zeit erledigen, weil sie zu entschlusslos, zu langsam und zu umständlich sind. Das erleben sie meist schamhaft. Sie versuchen ihre Langsamkeit geheim zu halten. So arbeiten sie z.B. heimlich, schreiben keine Überstunden auf, damit keiner merkt, wie schwer ihnen die Arbeit fällt und wie lange sie dafür brauchen. Diese ständige Mehrarbeit kann schon in frühen Jahren in eine Burnout-Symptomatik führen, weil Betroffene keine Zeit mehr haben, ihre Energiebatterie aufzuladen. Die Zeit zum Entspannen und für ihre Hobbys fehlt ihnen. Trotz ihres erheblichen Mehraufwandes an Anstrengung und Zeit erzielen sie  keine befriedigenden beruflichen Ergebnisse, weil sie einfach zu ablenkbar, zu reizoffen, zu umständlich, zu langsam sind. Sie machen zu viele Flüchtigkeitsfehler, schieben ihre Aufgabe zu lange heraus und können sie oft nur auf den letzten Drücker erledigen. Ihre KollegInnen sind genervt von dem Chaos um sie herum und dass sie angefangene Aufgaben nicht zu Ende bekommen. Die KollegInnen müssen ggf. die mangelnde Arbeitsleistung der ADS-Betroffenen ausgleichen. Das führt bald zu Unmut und Kritik. Schlechte Selbstorganisation, Unpünktlichkeit und die chaotischen Arbeitsweise der ADS-Frau verspielen die Sympathien ihrer Kollegen und Vorgesetzten.

Häufig fühlen sie sich dann falsch verstanden und ungerecht beurteilt. Manche werden zum Mobbingopfer oder aber sie landen nach einem ausgeprägten Erschöpfungszustand in einer psychosomatischen Klinik, wo leider meist das ADS wieder nicht erkannt wird.

Die ADS vieler Frauen bleibt bis ins mittlere Erwachsenenalter unerkannt, vermutlich die meisten sogar ein Leben lang.  Ich sehe häufiger ADS-Frauen, die eine jahrelange Odyssee durch Kliniken und Therapien hinter sich haben und sich immer noch erschöpft, schwach und abhängig fühlen. Ihre Lebenserfahrung ist, dass ihre Kraft nicht genügt, um das normale Leben zu bewältigen.

In all ihren vorangegangenen Therapien haben sie z.B. ihre Kindheit bearbeitet, ihr inneres Kind wachsen lassen und Selbstoptimierungsstrategien gelernt. Ihr Leben in den Griff zu bekommen und stolz auf sich sein zu können schaffen sie trotzdem nicht. Es ist nicht wirklich tröstlich für ADS-Frauen, wenn ein Therapeut ihnen sagt: „setzen sie sich Ihre Erwartungen an sich selbst herunter“. ADS -Frauen haben ein Gespür dafür, was sie können. Sie schaffen es jedoch nicht, gleichmäßige Leistung zu erbringen und sie sind auf Grund ihrer ADS-Symptomatik bereits allein mit ihrem normalen Alltag überfordert.  Sie haben nicht erfahren, dass die Ursache ihrer Erschöpfung und ihres chronischen Versagenszustandes neurobiologisch und genetisch bedingt ist, ADS heißt und erfolgreich behandelt werden kann.

ADS – Frauen haben oft gut gelernt mit  Rückzug und selbst auferlegter Unsichtbarkeit ihre Symptome zu verbergen, aber in ihnen selbst sitzt das tief verwurzelte Gefühl nicht zu genügen, minderwertig zu sein. Diese Erfahrungen nähren Versagensängste, Selbstzweifel und schließlich auch die Depression. Häufig treten dann auch körperliche Symptome wie ausgeprägte Erschöpfungszustände, Essstörungen und Somatisierungsstörungen auf.

 

Fallbeispiel:

Susanne, 45 Jahre, ist als Buchhalterin tätig und sie kämpft schon ihr ganzes Leben gegen ihr Chaos. Es gelingt ihr nur unter größten Mühen, eine geordnete Aktenablage hinzubekommen.  Den ganzen Tag ist sie mit Suchen beschäftigt und sie hat jeden Tag das Gefühl, vor ihrem eigenen Chaos kapitulieren zu müssen. Sie schreibt sich dauernd Erinnerungszettel, die sie dann nicht mehr findet. Sie vergisst ständig Termine, kommt zu spät und macht viele Flüchtigkeitsfehler. Das Schlimmste ist für sie, dass sie einfach ihre Aufgaben nicht beginnen kann und dass sie alles nur auf den letzten Drücker erledigt. Sie hat bereits mehrere Abmahnungen bekommen, weil sie wichtige Aufgaben nicht zum festgelegten Zeitpunkt erledigen konnte. Sie kommt zu mir, weil sie sich völlig erschöpft und ausgebrannt fühlt. Sie sei bereits 6 Wochen in einer Reha-Klinik wegen einem Burnout gewesen. Sie habe dort gelernt besser „nein“ zu sagen und sich selbst wichtiger zu nehmen. Das helfe ihr aber nichts für ihre Probleme am Arbeitsplatz, die nach wie vor bestehen.

Schon in den Schulzeugnissen zeigen sich deutliche Hinweise für das Vorliegen einer ADS. Die Patientin hat sich in ihrem ganzen Leben sehr angestrengt und mit letzter Kraft versucht den beruflichen Anforderungen gerecht zu werden. Dadurch hat sich bei ihr immer mehr ein tiefer Erschöpfungszustand eingestellt.

Es war für diese  Patientin sehr hilfreich, über ADS informiert zu werden. Sie konnte sich damit ihre ausgeprägte Arbeitsstörung besser erklären. Die Erkenntnis, dass sie ihr ganzes Leben nicht unfähig und erfolglos war, sondern dass sie immer wieder mit großen Anstrengungen versucht hatte ihr ADS-Handicap in den Griff zu bekommen, entlastete sie sehr. Das Wissen über ADS hat der Patientin sehr geholfen, ihre Biographie neu zu rahmen und sich selbst besser anzunehmen. Von der medikamentösen Behandlung konnte sie sehr profitieren und sie fühlt sich heute arbeitsfähiger und leistungsfähiger als jemals zuvor in ihrem Leben. Damit hat sie wieder neuen Lebensmut geschöpft .Zum ersten mal in ihrem Leben ist sie mit sich selbst zufrieden.

 

ADS im jungen Erwachsenenalter

Wenn die beschützenden und Struktur gebende Unterstützung des Elternhauses wegfällt werden die die Auswirkungen der ADS-Symptomatik sichtbarer. Betroffene müssen sich in der eigenen neuen Welt selbst zurechtfinden, sich neu orientieren. Sie müssen sich organisieren und sich neuen Herausforderungen stellen. Das ganze Ausmaß der ADS-Symptomatik zeigt sich oft erst, wenn  man selbständig im Leben steht und die Verantwortung der Lebensgestaltung in der eigenen Hand liegt.

Der Kühlschrank füllt sich nicht  mehr von selbst, Wäsche muss gewaschen werden. Im Studium oder Beruf wird jetzt erwartet, dass man sich um die eigenen Belange und Pflichten angemessen kümmert. Die vielen kleinen Dinge, die man im Alltag erledigen muss, können Betroffene nun sehr schnell völlig überfordern.

Das Chaos nimmt zu, Pflichten werden immer öfter nicht erledigt. Wenn man die Kontrolle über das eigene Leben verliert, vollzieht sich der Rückzug auf die Couch in den eigenen vier Wänden. ADS-Betroffene scheitern dann täglich an ihrem guten Willen, den sie nicht umsetzen können. Sie nehmen sich so viel vor und schaffen es nicht mit ihren Arbeiten anzufangen. Sie schaffen es nicht ihr Leben in den Griff zu bekommen und stattdessen wachsen täglich der innere Schweinehund, die Schuldgefühle und die Überzeugung ein Versager zu sein.

In dieser Situation kann es zu einer immer ausgeprägteren Antriebsstörung und sogar zu einer totalen Apathie kommen. Daraus kann sich eine Depression entwickeln.

Im Erwachsenenalter werden auch die Anforderungen an Beziehungen größer. Gerechte Arbeitsteilung in einer Partnerschaft erfordert, zuverlässig Aufgaben zu übernehmen. Der Partner wird unzufrieden, wenn er immer auf Chaos, Entscheidungsschwäche und mangelnde Selbstorganisation Rücksicht nehmen muss. Hierzu gibt es das Kapitel ADHS und Partnerschaft.

 

ADS und Beziehungen

Im Erwachsenenalter führt ADHS sehr häufig zu Beziehungsschwierigkeiten. Wer sich selbst nicht akzeptiert, kann auch nicht glauben, dass er/sie liebenswert ist. Jeder gibt sich seinen Wert selbst. Wer sich selbst geringschätzt wird allen, die ihn/sie wertschätzt, mit tiefen Mistrauen begegnen. ADS-Frauen haben viel häufiger Beziehungsprobleme auf Grund ihres schlechten Selbstwertgefühls und ihrer Lebenserfahrungen. Sie suchen sich oft Partner, die sie ähnlich abwerten, wie sie selbst, und die sie daher schlecht behandeln. Aber auch noch so liebevolle Mitmenschen als Partner können einen nicht erlösen von der eigenen Selbstentwertung.

Entweder sie suchen sich einen Partner, der sie erretten soll. Das führt zwangsläufig zu schweren Enttäuschungen, denn nach anfänglicher Idealisierung stellt sich die ernüchternde Erkenntnis ein, dass auch dieser Partner all die eigenen Defizite und Unsicherheiten nicht kompensieren kann.

Oder sie suchen sich einen vermeintlich starken Partner, mit dem sie sich aufwerten wollen. Wenn dieser Partner narzisstische Züge hat, lassen sich ADS-Frauen oft lange schlecht behandeln, entwerten und demütigen. Solche Partnerschaften können sie auch krank machen.

ADS-Frauen gehen häufiger abhängige Beziehungen ein, in denen sie sich ausnutzen und ausbeuten lassen. Ihr schwaches Selbstwertgefühl macht sie anfällig für Menschen mit narzisstischen Persönlichkeitsstörungen, weil diese ihre Schwächen erkennen und sie so zur leichten Beute dieser ausbeuterischen Partner werden. ADS-Frauen lassen sich in ihren Minderwertigkeitsgefühlen bestätigen.  Auch deswegen können sich so wenig wehren, wenn sie als Schuldige für all die partnerschaftlichen Beziehungsprobleme ausgemacht werden.  Da ADS-betroffene Frauen meist nur wenig Autonomie entwickelt haben, fällt es ihnen besonders schwer, sich aus einer solchen verstrickten Beziehung zu lösen, auch nach jahrelangem Martyrium aus Demütigungen. Tragisch, aber leider nicht selten ist es, wenn sie sich schließlich aus einer  solchen Abhängigkeitsbeziehung mit Mühe gelöst haben , dass sich sofort in die nächste Beziehung mit einem „starken“ Partner stürzen, die aber mit dem gleichen Verhaltensmuster wieder zum schmerzlichen Scheitern verurteilt sein wird.

Manchmal schlüpfen ADS-Frauen auch in die Position des Helfers, entwickeln  sozusagen ein „Helfersyndrom“: Sie suchen sich einen schwachen Partner, der ihre Hilfe benötigt. Sie wollen ihn dann retten, werden aber stattdessen von ihm mit all seinen Problemen mit in den Abgrund gezogen. Sie versuchen alles zu geben, um sein Befinden zu bessern, da sie es aber nicht schaffen, schwächt sie diese Beziehung immer mehr.

 

Frauen und Sexualität

Erschreckend ist, dass 27 % der ADS-Frauen Gewalt erfahren oder einen Missbrauch in ihrer Kindheit erlebt haben. Erwachsene ADS-Frauen neigen dazu, abhängige Beziehung zu führen und sich nicht gegenüber ihrem Partner behaupten zu können. Häufig beginnen sie früh mit sexuellen Aktivitäten, weil sie sich nicht abgrenzen können oder weil sie sich überrumpeln lassen. ADHS/ADS- Betroffene weisen ein  Reifungsdefizit von oft 3-4 Jahren auf. Der frühe Beginn der Sexualität überfordert daher junge ADS-Frauen  besonders oft. Die frühe sexuelle Erfahrung  schwächt sie noch mehr, weil sie zwar körperlich sexuell reif sind, aber in ihrer geistigen Entwicklung auf Grund einer verzögerten Hirnreifung hinterher hinken.

Bei ADHS/ADS ist riskantes Sexualverhalten häufiger. Daher werde ADS-betroffene Mädchen und Frauen wesentliche häufiger ungewollt schwanger. Sexuell übertragbaren Krankheiten sind natürlich ebenfalls bei betroffenen häufiger.

Teenagerschwangerschaften verschärfen erheblich  alle durch ADS verursachten Probleme, weil Betroffene als Mutter viel eher überfordert sind. Aber auch eine Abtreibung erleben Betroffene traumatischer.

Auch im mittleren Lebensalter kann Sexualität noch problematisch sein. Ein erheblicher Teil der ADS-Frauen beschreibt, dass sie Sexualität zunächst sehr spannend und aufregend erleben. Im Alltag, nach dem Abklingen des Verliebtsein, ist es dann aber für sie oft schwierig, während des Sexualaktes die Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten. Dies führt dann dazu, dass sie z.B. während der Sexualaktes an ganz andere Dinge denken müssen und sie sich zum Beispiel Gedanken machen, was sie nachher einkaufen müssen. Die hohe Ablenkbarkeit führt dann auch dazu, dass sie nicht lange genug auf den Sexualakt fokussieren können. Dieses Abdriften vermindert die Intensität der sexuellen Begegnung. Ein Teil der ADS-Frauen bleiben fixiert auf bindungslose sexuelle Erlebnisse.

ADS-Frauen leiden deutlich häufiger unter einem ausgeprägten prämenstruellen Syndrom. Jede hormonelle Veränderung kann zu starken Stimmungs-schwankungen  bis hin zu einer Depression führen.

 

Frauen und Mutterschaft

Die Mutterrolle ist für ADS -Frauen oft sehr schwierig. Wenn sie noch Struktur in ihrer Arbeit haben und dort auch noch Anerkennung bekommen, geht es meist noch ganz gut. Die Arbeit taktet und setzt Deadlines.  Wenn ausreichende Erholungszeiten und Rückzugsmöglichkeiten vorhanden sind und auch der Job noch mit Erfolg bewältigt werden kann, können die ADS-Symptome einigermaßen kompensiert werden.

Mit Kindern wird nun auf einmal alles anders. Mütter sind nun einmal nicht mehr die Herrin über ihre Zeit. Die Kontrolle und Planbarkeit des Alltags geht verloren. Mit Kindern kommt immer alles anders, als man geplant hat.

ADS Frauen haben oft Probleme damit, konsequent zu erziehen, Regeln aufzustellen und auf Einhaltung von Pflichten zu bestehen. Sie neigen eher dazu, gegenüber ihren Kindern Regeln und Verbote aufzustellen, die sie dann selbst nicht einhalten und die auch nicht überwachen. Das führt dazu, dass den Kindern klare Grenzen fehlen. Und selbst sind betroffene Frauen oft keine guten Vorbilder. Kinder verlieren so den Respekt vor ihnen. Sie wissen genau, dass die angedrohten Strafen sowieso wieder vergessen werden. Das kostet Achtung und Autorität. Oft lassen sich ADS-Mütter von ihren Kindern zu viel gefallen um dann bei einer Kleinigkeit auszuflippen (Impulskontrollstörung). Das schafft in den Kindern große Verunsicherung: Das Verhalten der Mutter ist nicht berechenbar, verlässliche Grenzen zu respektieren hat ihnen aber auch keiner beigebracht.

Die Kinder von Betroffenen haben besonders häufig selbst eine ADHS. Das kann zu einer Potenzierung der ADHS- Probleme führen. Es kommt häufig zu Gefühlsausbrüchen. Danach Zerknischtsein und Schuldgefühle. Es entstehen in ADS/ADHS-Müttern nagende Selbstzweifel, warum man ausgerechnet bei den geliebten Kindern so ausflippt und diese völlig unpädagogisch wegen einer Kleinigkeit anschreit. Immer wieder entwickeln ADS-Mütter schreckliche Gewissensbisse, wenn sie in einem Wutanfall ihren Kindern unmögliche Vorwürfe machen obwohl sie selbst doch genau wissen, dass sie damit ihren Kindern schaden. Sie haben den Anspruch an sich selbst, gute Mütter zu sein. Es macht sie sehr verzweifelt, wenn sie trotz all ihren guten Vorsätze und Mütterideale wieder scheitern, nur weil die Kinder mit dreckigen Schuhen durchs Wohnzimmer gelaufen sind und sie völlig überzogen und ohne Gefühlskontrolle ihrer Wut und Empörung freien Lauf gelassen haben. Nach so einem Gefühlsausbruch stellen sich dann tiefe Schuldgefühle und Reue ein und nichts ist zermürbender als ein erneuter unkontrollierter Gefühlsausbruch bei der nächsten nichtigen Gelegenheit.

Schwierige Kinder, durchwachte Nächte, der vermisste berufliche Erfolg oder die Doppelbelastung im Beruf und als Mutter. Und dann noch das eigene Versagen am Anspruch, eine gute Mutter zu sein: Das ist zermürbend.

Viele ADS-Mütter schaffen es nicht ihren Haushalt zu bewältigen und sich aufzuraffen Geschirr zu spülen oder Ordnung zu halten. ADS-Mütter müssten ja ihren Zeitplan selbst takten, es gibt keinen äußeren Taktgeber. Sie verstehen nicht, warum sie bisher beruflich erfolgreich waren, jetzt aber zuhause nicht in der Lage sind ihre täglichen Pflichten zu erfüllen. Sie verlieren sich in der Fülle ihrer Möglichkeiten und schieben Hausarbeiten immer wieder hinaus und der Haufen von liegengebliebener Arbeit wird immer größer. Berge von Wäsche und dreckigem Geschirr türmen sich auf. Kinderspielzeug, das über die ganze Wohnung verteilt ist findet nicht seinen Platz zurück . All das nagt täglich am Selbstwertgefühl.

ADS-Frauen scheitern oft an den Kleinigkeiten des Lebens, an den langweiligen Dingen des Alltags, für die sie sich nicht motivieren können. Sie verlieren den Überblick, können das Wesentliche nicht vom Unwesentlichen unterscheiden und sie machen eher unsinnige Tätigkeiten, als endlich das Notwendige zu erledigen. Unerwartete Ereignisse mit Gelassenheit zu nehmen und ihre Pläne entsprechend umzustellen schaffen sie oft gar nicht.

Der Unmut des Partners und die Selbstzweifel nehmen Tag für Tag zu. Partnern fällt es oft schwer, die Probleme von ADS Frauen zu verstehen und sie zu unterstützen. Es ist ihnen unbegreiflich, warum die vorher erfolgreiche Frau zuhause einfach nichts mehr „gebacken“ bekommt.

Die klassische Rollenverteilung in der Familie war, dass die Frau dem arbeitenden Mann den Rücken frei hält, ihn an Termine erinnert, den Überblick zu Hause behält, also auch dessen Schwächen möglichst ausgleicht. Auch wenn dieses Modell der Vergangenheit angehört, sind Männer oft weder fähig noch willig, umgekehrt die Schwächen der Frau im gemeinsamen Zuhause auszugleichen.

 

Fallbeispiel:

Tina, 33 Jahre, vorher erfolgreiche Assistentin der Geschäftsführung.

Tina war in ihrer Firma bis zur Geburt der Kinder „Mädchen für alles“. Sie war überall gefragt und sie bewältigte in ihrer Firma viele Probleme, die sie als Herausforderung sah. Es machte ihr Spaß, dass sie so viel bewegen konnte und sie erfreute sich großer Wertschätzung und Beliebtheit. Als sie nun wegen ihrer zwei Kinder zuhause blieb, wurde aus der aktiven Frau eine unzufriedene Mutter, die ständig ausrastete und die mit ihrem eigenen Chaos nicht mehr zurechtkam. Jeden Tag scheiterte sie an sich selbst, weil sie die Hausarbeit nicht bewältigte, ständig ausflippte und jeden Tag wurde sie unzufriedener und depressiver, bis sie schließlich in eine Klinik eingewiesen wurde, wo ihr eine Erschöpfungsdepression diagnostiziert wurde. Hier wurde die Diagnose ADHS leider übersehen. Tina fühlte sich sehr schlecht, weil sie sich selbst so für ihre Unfähigkeit und Ungerechtigkeit hasste und weil sie sich in ihrer Mutterrolle als Zumutung für ihre Kinder erlebte. „So jemanden wie mich kann man keinem Kind zumuten“. Erst mit der Diagnose ADHS konnte sie besser ihre aktuellen Probleme verstehen und in einer Psychotherapie lernte sie, ihre Gefühle besser zu kontrollieren. Mit Hilfe von ADHS-Medikamenten schaffte sie es, deutlich ruhiger und gelassener zu sein und die Kontrolle über ihre Gefühle und Handlungen wieder zu erlangen.

 

Frauen und Menopause

Die Menopause ist für ADS/ADHS-Frauen oft ein großer Einschnitt. Wie beim prämenstruellen Syndrom können sich bei ADS/ADHS -Frauen Hormonschwankungen deutlich stärker auswirken. Sie können sich in dieser Zeit total erschöpft fühlen, vermehrt schwitzen oder frieren, noch dünnhäutiger sein, als sie dies schon gewöhnt sind. Auch kann die Belastbarkeit noch weiter sinken, was die Minderwertigkeitsgefühle verstärken kann. Hinzu kommt dann oft, dass in dieser Zeit die Kinder aus dem Haus gehen oder aber es für sie selbst beruflich nicht mehr weiter nach oben geht. Die Aufgabe der Mutterrolle verlangt eine Umstellung und Veränderung, die oft nicht gut bewältigt wird. Wenn das Haus leer ist, weil die Kinder ausgezogen sind, dann müssen neue Freunde und Hobbys gefunden werden. Dann ist nicht mehr die Lebendigkeit zuhause, sondern sie muss neu geschaffen werden.

Auch das Alleinsein fällt oft schwer, weil ADS/ADHS -Frauen sich oft nicht gut selbst beschäftigen können. Sie brauchen das Leben der Anderen, um erfüllt zu sein. Das Selbstwertgefühl kann auch sinken, wenn man nicht mehr das Gefühl hat von Kindern gebraucht zu werden.

Je älter man wird, desto mehr lassen Gedächtnis und Flexibilität nach. Das ist bei anderen Menschen auch so, aber wenn die zerstreute ADS/ADHS -Frau noch vergesslicher wird, dann kann das Leben schnell aus den Fugen geraten. Viele sind dann überzeugt, bereits an einer beginnenden Demenz zu leiden. Das erfreuliche ist, dass man diese ADS/ADHS -bedingte Pseudodemenz sehr gut behandeln kann. Auch im fortgeschrittenen Alter ist eine ADS-Behandlung mit Stimulanzien noch sinnvoll.

 

Fallbeschreibung:

Die 70 jährige Patientin kommt notfallmäßig, weil sie Angst hatte in die Psychiatrie eingewiesen zu werden. Sie sei total stimmungslabil, fange bei jeder Kleinigkeit an zu weinen, andererseits sei sie sehr aggressiv und aufbrausend, so wie sie sich sonst nicht kenne. Ihr Stimmungen wechselten ständig. Zeitweise sei sie aber auch sehr fröhlich, dann wieder durch Kleinigkeiten völlig aus der Fassung zu bringen. Seit Monaten werde sie mit Antidepressiva ohne Erfolg behandelt. Es habe angefangen, als sie wegen einer Herzerkrankung aufgehört habe zu rauchen. Ihr Leben lang habe sie 40 Zigaretten täglich geraucht.  Früher sei sie eine sehr temperamentvolle, mutige Frau gewesen, die erste Gemeinderätin in ihrem Dorf und sie habe immer Narrenfreiheit gehabt und jedem die Meinung gesagt. Als Kind sei sie unruhig und aufbrausend gewesen. Dies habe sich in der Pubertät gebessert, allerdings habe sie zu dieser Zeit auch angefangen zu rauchen. Vor einem halben Jahr habe sie nun abrupt mit Rauchen aufgehört, weil sie einen Herzinfarkt erlitten habe. Seitdem sei sie in diesem unerträglichen Zustand. Als besonders belastend empfinde sie auch eine unerklärliche Unruhe und Anspannung. Bei der Patientin konnte lebensgeschichtlich schon in der Kindheit ADHS diagnostiziert werden. Die Patientin hat durch massiven Nikotinkonsum eine Selbstmedikation betrieben und sich über Jahrzehnte damit stimmungsstabil gehalten. Jetzt, wo sie abrupt das Nikotin absetzte, sind die alten ADHS-Symptome wieder aufgetreten. Es handelte sich eben nicht nur um Nikotinentzugserscheinungen, sondern selbst nach über einem halben Jahr Nikotinabstinenz waren diese Symptome noch in voller Ausprägung vorhanden. Mit der Gabe von geringen Dosen von Stimulanzien wurde die Patientin ruhig und ausgeglichen und ihre Depression verschwand völlig. Selbst nach Jahren ist sie unter dieser sehr geringen Medikation stabil und sie erfreut sich mit einer unglaublichen Vitalität ihres Lebens. Sie wirkt mindestens 20 Jahre jünger als ihre Gleichaltrigen, mit denen sie so wenig anfangen kann, weil sie selbst noch so aktiv ist.

Je mehr die Selbstbestimmung durch das Alter eingeschränkt wird, desto mehr Kompensationsmöglichkeiten fallen im Alter weg. Wenn auf einmal auf Grund von Gelenkbeschwerden kein regelmäßiger Ausdauersport mehr möglich ist, kann es sein, dass die ADS/ADHS -Symptome sich deutlich verstärken. Wenn man nicht mehr selbstbestimmt Hobbys nachgehen kann, weil z.B. Autofahren nicht mehr möglich ist, verstärken sich die Unruhe und die innere Spannung.

Wir haben viel zu wenig Studien darüber, was mit ADHS-Patienten im Alter passiert. Hier besteht ein dringender Forschungsbedarf.

 

Zusammenfassung.

Bei Mädchen ist die hypoaktive ADS deutlich häufiger als die hyperaktive ADHS. Die Diagnose ADS wird bei Frauen oft viel später gestellt, weil das ADS in der Kindheit übersehen wird, da die Symptomatik viel unauffälliger ist. Trotzdem kann das Vorliegen von ADS bei Frauen gravierende Folgen haben: Häufigere Arbeitslosigkeit, Trennung, Gewalt in der Familie, Depressionen und Angstzustände. Auch kann das Ausbildungsniveau deutlich unter dem eigentlichen Potenzial bleiben. Insbesondere das Selbstwertgefühl von ADS-Frauen ist oft schwach ausgeprägt. Sie entwickeln oft im Laufe Ihres Lebens ausgeprägte Schamgefühle und versuchen ihre ADS-Symptome zu verstecken. Immer müssen sie befürchten, dass ihre Insuffizienz und ihre Unfähigkeit entdeckt wird.

ADS wird noch viel zu selten rechtzeitig erkannt, damit bleibt vielen betroffenen

Mädchen und Frauen eine adäquate, störungsspezifische Behandlung vorenthalten. ADS-Frauen müssen die Gelegenheit bekommen zu lernen, sich selbst mit ihrem ADS anzunehmen und sich zu verstehen. Sie müssen lernen, dass man ADS ein Teil von ihnen ist, aber auch, dass es Strategien und Behandlungen gibt, mit denen man auch mit ADS ein glückliches und erfolgreiches Leben führen kann. Sie müssen lernen, sich selbst mit den eigenen Schwächen anzunehmen aber vor allem auch, ihre Stärken zu entdecken und weiter zu entwickeln. ADS-Frauen sollten lernen sich selbst mit Respekt zu behandeln und sich nicht immer wieder mit denen zu vergleichen, die kein ADS haben.

ADS/ADHS-Frauen brauchen Therapeuten, die sich mit ADS/ADHS auskennen.

Medikamentöse Behandlung kann sehr wirkungsvoll sein. Elterntrainings können ebenfalls sehr hilfreich sein, ebenso wie Kurse in Zeitmanagement und Selbstorganisation. Entspannungs- und Rückzugsmöglichkeiten sind wichtig, ebenso wie regelmäßige sportliche Aktivität.